07.11.2014

Interstellar – Höhere Ansprüche als jemals zuvor


Grade aus dem Kino zurück, mein Gedankenapparat läuft immer noch auf Hochtouren. Die perfekte Gelegenheit also, schriftlich noch einmal auf Christopher Nolans neusten Genie-Streich „Interstellar“ zurückzublicken.
Erinnern wir uns zurück: Beinahe auf die Woche genau sah ich vor einem Jahr den ‚Science-Fiction-Thriller‘ „Gravity“ (KRITIK). Reißerisch bezeichnete ich ihn in der Kritik als ‚Bullocks Bester‘, sowie nach ordentlich geführter Erörterung als ein ‚Meisterwerk‘. An dieser Sichtweise hat sich bis heute, ja bis zu diesem Moment, nichts geändert. Nun zeigt das Kino aktuell jedoch, dass solch brillante Filme keine absolute Ausnahme mehr darstellen. Als Beispiele zu nennen sind hier „Gone Girl“ oder eben „Interstellar“.

Der Film nimmt sich sehr sehr viel vor, will sozusagen das Gelbe vom Ei, die Creme de la Creme sein. Er nimmt sich mit annähernd drei Stunden (169 Minuten) dafür jedoch auch einiges an Zeit.
Beginnen wir als Fan der gepflegten Bild- und Tontechnik jedoch zunächst mit den formalen Merkmalen des Produkts. Auf die Optik des Films muss nicht weiter eingegangen werden. Diese besticht in jeder Hinsicht, hält sich dabei jedoch so weit zurück, dass man in keiner Hinsicht von einer Ablenkung sprechen kann. Zieht man hier allerdings einen Vergleich zu Gravity (und das tue ich im Folgenden wahrscheinlich noch einige Male), so muss auch hervorgehoben werden, dass der Weltraum etwas weniger imposant als in Alfonso Cuaróns Meisterwerk erscheint. Auch die Schnitte können als mehr als solide Arbeit bezeichnet werden. Allein in hektischen Sequenzen verliert der Zuschauer beizeiten die Orientierung, was sich jedoch tatsächlich noch nicht einmal als wirklich störend erweist.
Kommen wir nun zur Musik. Anders als die Optik, drängt sich diese gerne und oft mal in den Vordergrund. Vor allem was den Charakter angeht, hat Hans Zimmer hier großartige Arbeit geleistet. So hat der Soundtrack eine ganz eigene Wirkung und ist er zu Beginn noch ungewohnt und ablenkend (theatralisch), will man ihn nach spätestens der Hälfte des Films nicht mehr als Begleiter der Ereignisse missen. Auch hier ziehe ich gerne einen Vergleich zum Soundtrack Gravitys. Dieser hat zwar auf der einen Seite weniger Charakter und drängte sich nur etwas weniger in den Vordergrund, dafür passt er jedoch wie die Faust aufs Auge. Während Bild und Ton in Interstellar als zwei gleichwertige Hälften eine Einheit ergeben, richtet sich die Musik in Gravity stets nach dem Bild und unterstützt dieses, ohne dabei in den Hintergrund treten zu müssen.
Nicht unerwähnt sollte allerdings bleiben, dass beide Filme, Interstellar und Gravity, von mir nicht aufgrund ihrer in nur einzelnen Zügen ähnlichen Thematik, sondern viel eher aufgrund ihrer ähnlichen Machart verglichen werden. Um es einfach auszudrücken: Beide Filme schielen zumindest mit einem Auge auf diverse Preisverleihungen.
Inhaltlich überzeugt Interstellar überwiegend. Man hat während der 169 Minuten kein einziges Mal das Gefühl von Zähe oder Langatmigkeit. Insgesamt wirkt es nie, als würde man das Gezeigte schon einmal irgendwo gesehen haben, dabei ist das Gesamtprodukt aus negativer Sicht allein eine Verkettung einzelner Ideenstränge, die es im Eigentlichen doch schon mal irgendwo gegeben hat. Diese Verkettung ist allerdings so unglaublich gut gelungen, dass sie ein extrem rundes Gesamtpaket erzeugt. Ende und Anfang sind sich thematisch so unglaublich einig, dass man beinahe vermuten könnte, sie seien durch ein Wurmloch miteinander verbunden. Während der Mitte schweift der Film dabei zum Teil ab, was jedoch dem sonst sehr schwer verdaulichen Werk einige Leichtigkeit und Entspannung hinzufügt. Man darf zwischendurch sozusagen auch mal eine Verschnaufpause einlegen. Besonders stark ist Interstellar jedoch während ganz ruhiger Sequenzen, die erst die Tragweite der Handlung erklären. Beinahe Gänsehautmomente erschafft der Film während dieser Szenen. Die ganze Zeit reist man mit dem Protagonisten Cooper durch Raum und Zeit, bis man plötzlich äußerst schmerzhaft daran erinnert wird, dass es ‚damals‘, im ersten Viertel des Filmes, ja noch ganz andere liebgewonnene Personen gab. Das Kino verwandelt sich in diesen Momenten beinahe zu einer ganz eigenen Zeitreisekapsel. Unvorhersehbar sind diese Szenen wie sehr vieles im Film nicht, dies bedeutet jedoch keinen Verlust der Wirkung.
Ein weiterer Höhepunkt sollte des Weiteren wohl die Auflösung des Spannungsbogens im Film darstellen. Diese ist jedoch schon nach gut der Hälfte der Laufzeit erahnbar. Ich will damit auf gar keinen Fall sagen, dass die Szenen schwach sind, sie wollen dem Gesamten anscheinend noch eine Krone aufsetzten, schaffen dies aber nur mit einem bunten alten Zylinder.
Was die Handlung und Thematik angeht möchte ich wie schon angedeutet keinen Vergleich zu Gravity ziehen. Beide Werke haben hier ihre komplett eigenen Qualitäten, denn während Gravity mit unglaublich viel Gefühl Einzelschicksale darstellt und den Zuschauer stärker als irgend ein anderer Film in seinen Bann zieht, arbeitet Interstellar mit einer viel größeren Bandbreite an Emotionen und einer insgesamt vergrößerten Tragweite der Handlung (womit ich nun anscheinend doch einen Vergleich gezogen habe).
Insgesamt verdient sich Interstellar definitiv die Beschreibung „toll“. Dem Film fehlt es etwas an charakteristischen Ecken und Kanten, darüber hinaus wird zum Teil zu sehr ein erzwungener Perfektionismus deutlich. Diese Kritikpunkte ändern aber nichts an einem sehr runden Gesamtpaket.
Betrachtet man Gravity, Gone Girl oder Interstellar. Es wird deutlich: Der Eventkinofilm hat sich entwickelt und es sind höhere Ansprüche im Mainstreamprodukt möglich als jemals zuvor.

 So, mein Gedankenapparat hat sich wieder beruhigt.


 

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